Lockdown-Tagebuch

zur Startseite

Aus dem „Corona-Lookdown-Tagebuch“ der Johannes-Kullen-Schule

Dreizehn Referendare absolvieren im Schuljahr 2019/20 an der JKS ihre Ausbildung. Sie mussten sich, wie auch ihre Schüler, seit der vollständigen Schulschließung im März 2020 und der schrittweisen Öffnung bis zu den Sommerferien täglich auf neue Herausforderungen einstellen. Wie sind sie mit der Krise umgegangen? Wir haben vier angehende Lehrerinnen und Lehrer und die JKS-Sekretärin danach gefragt.


Freitag, 13. März 2020
Frau Dr. Susanne Eisenmann (Ministerin für Kultus, Jugend und Sport) kündigt an: Wegen des Pandemiegeschehens werden alle Schulen in Baden-Württemberg ab Dienstag 17. März geschlossen.

Montag, 16. März 2020
Vorläufig letzter Schultag, auch in der JKS. Dauer der Schließung des Regelbetriebs: unbekannt.

Elena Koch, Mirko Giallorenzo, Layla Wahl und Nico Safai (v.l.)

Elena Koch, 27 Jahre, Lehramtsanwärterin für Sonderpädagogik:

„So habe ich die Schulschließung und die Zeit danach erlebt“.

„Mein Referendariat lief erst seit wenigen Wochen. Gerade hatte ich die erste Unterrichtseinheit geplant und freute mich sehr darauf, eigene Erfahrungen zu sammeln. Die Meldung, dass die Schulen nun wegen Corona tatsächlich vorübergehend schließen, traf mich daher hart. Wie vermutlich viele Menschen konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirklich einordnen, was gerade passiert: keine Schule mehr auf unbestimmte Zeit, eventuell mehrere Wochen kein Unterricht – das kennt man sonst nur von den Sommerferien.

Die Versuchung, sich einem ´Ferienvorfreudegefühl´ hinzugeben, wurde allerdings von der Realität im Keim erstickt. Überall wuselte es hektisch im Lehrerzimmer. Die Kopiergeräte liefen heiß. Jeder versuchte, die Schülerinnen und Schüler noch rasch mit provisorischen Lernpaketen, wichtigen Elternbriefen für anstehende Praktikumsstellen und ähnlichem zu versorgen. Der letzte Schultag vor den Sommerferien fühlt sich definitiv anders an.

Weiterlesen hier...

Als die Schule dann geschlossen war, erlebte ich den Kontrast besonders intensiv. Auf einmal stand alles still. Mich beschäftigte die Frage wie ich es schaffe, die Beziehung zu meinen Schülern, fünf Kinder der Klassenstufe 5, aufrecht zu erhalten und auszubauen? Ich entschloss mich, neben Lernpaketen auch persönliche Briefe zu verschicken. So bemalte ich z.B. für jeden Schüler und Lehrer ein Schneckenhaus und schickte jedem ein Foto davon. Im Brief berichtete ich auch über mein eigenes Befinden und erkundigte mich, wie es jedem Einzelnen geht.

Ein anderes Mal kreierte ich ein Eistee-Rezept mit der Lieblingsteesorte einiger meiner Schüler. Die Rückmeldungen aus der Klasse zeigten mir, dass die Ideen gut ankamen: Viele erzählten, wie sie außerhalb der Schule ihre Zeit verbringen, wie es ihnen persönlich geht – und wie lecker der Eistee schmeckt. Zum Teil entstanden berührende Briefwechsel. Sie haben eine Dimension in den Beziehungsaufbau gebracht, die ohne Krise vermutlich so nicht zustande gekommen wäre“.

Elena Koch, 27 Jahre, Lehramtsanwärterin für Sonderpädagogik

Dienstag, 17. März 2020

Eine Notfallbetreuung wird eingerichtet für Kinder, bei denen beide Erziehungsberechtigte bzw. der alleinerziehende Elternteil in einer kritischen Infrastruktur tätig sind.

Christina Kalinka, Sekretärin der JKS:

„Durch Corona hat sich bei mir sehr viel verändert“.

„Den neuen Alltag habe ich als sehr herausfordernd erlebt. Aufgrund der Pandemie fühlte ich mich unsicher im Umgang mit meinen Kollegen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, einen imaginären Feind im Rücken zu haben. Man sieht das Virus ja nicht. Daher hielt ich immer Abstand und habe mir häufig die Hände gewaschen. An meinem Schreibtisch ließ ich mir eine Plexiglasscheibe anbringen. So fühlte ich mich sicherer.

Im Schulhaus herrschte fast schon gespenstische Stille – keine Kinder in den Klassenzimmern, kein Lärmen vom Schulhof, keine Rangeleien auf den Fluren. Es fühlte sich befremdlich an: Alle Schüler und Lehrer waren zu Hause, nur die Schulleitung inklusive Sekretariat mussten vor Ort arbeiten - so, als gäbe es kein Virus.

Weiterlesen hier...

Man hätte vermuten können, dass ein entspannteres Arbeiten ohne die sonst üblichen Unterbrechungen und Hintergrundgeräusche jetzt leichter gewesen wäre. Aber das Gegenteil war der Fall. In dieser ersten Coronazeit musste die Schulleitung sehr viel planen. Täglich gab es Veränderungen, ständig kamen neue Vorgaben. Das war oftmals frustrierend.


Im Sekretariat war ich gefühlt ´rund um die Uhr´ tagelang damit beschäftigt, Taxifahrten zur Schule und nach Hause zu organisieren für Schüler der Notfallbetreuung und später auch für die im Präsenzunterricht. Bei diesen Planungen galt es nicht nur, die unterschiedlichen Wohnorte zu berücksichtigen. Es war auch darauf zu achten, dass es keine Durchmischung der Gruppen gab, dass die Arbeitsbescheinigungen der Eltern vorlagen usw. Für die Abrechnungen mit den Landratsämtern mussten Vorgaben eingehalten und diverse bürokratische Hürden genommen werden. Kaum waren meine Planungen erfolgreich abgeschlossen, veränderte sich die Schülerzahl. Neue Schüler kamen hinzu, die selbstverständlich auch berücksichtigt werden mussten. So waren die mühsam erstellten Pläne hinfällig und ich konnte von vorne beginnen. Es war eine Sisyphusarbeit.“

Christina Kalinka, Sekretärin der JKS

Montag, 20. April 2020

Die Notfallbetreuung wird ausgeweitet auf Kinder mit Eltern in präsenzpflichtiger Arbeit (Unabkömmlichkeit). Alle anderen Schüler lernen zu Hause.

Nico Safai, 28 Jahre, Lehramtsanwärter für Sonderpädagogik:

„Das Virus hat mein Referendariat kräftig durcheinander gebracht“.

„Für die Notfallbetreuung wurden die Schüler in Kleingruppen aufgeteilt, in Grundschüler und Kinder ab Klasse 5. Natürlich war dies kein Unterricht wie man ihn aus der Zeit vor Corona kennt. Die schulische Betreuung begann um 8.30 Uhr. Zu Beginn hatten die Kinder ein wenig Zeit anzukommen und zu spielen.

Meist in Stillarbeit beschäftigten sie sich dann mit der Bearbeitung ihrer Aufgaben, die ihnen ihr Klassenlehrer als Tages- oder Wochenplan zur Verfügung gestellt hatte. Zwischendurch waren immer wieder Kreativzeiten eingeplant, in denen sie spielen, werken, basteln oder sich bewegen konnten. Um 12 Uhr endete die Betreuung. Einige Kinder gingen nach Hause, andere wurden in der Jugendhilfe weiterbetreut.

Weiterlesen hier...

Für einen Großteil der Schüler stand in dieser Zeit allerdings ´Fernlernen´ auf dem Stundenplan. Mir war wichtig, den Kontakt zu diesen Schülern und Eltern in guter Weise aufrechtzuerhalten. Daher ging ich ungewohnte Wege und telefonierte einmal pro Woche mit ihnen: „Wie klappt es mit dem Fernlernen? Sind genügend Unterrichtsmaterialien vorhanden?“ Wir sprachen auch darüber, wie es aufgrund der neuesten Coronaentwicklung voraussichtlich weitergeht. Die Tagesgestaltung der Schüler und die Stimmung in den Familien war für mich ebenfalls von Bedeutung. Da ich Referendar einer 1. Klasse bin, mussten alle Materialien – schwerpunktmäßig für die Fächer Mathematik, Deutsch und Sachkunde – so aufbereitet werden, dass sie ohne Erklärung verstanden werden.


Die Schließung der Schulen im März hat mich einiges ganz neu gelehrt und mir deutlich gezeigt, wie wichtig es ist, Ungewissheiten zu akzeptieren sowie geduldig und flexibel zu sein. Ende April sollte meine zweite Lehrprobe stattfinden. Aber wie sollte das gehen – ohne Schüler? Diese Zeit war für mich mit großen Sorgen und Ungewissheit verbunden. Umso erleichterter war ich, als ich Mitte April erfuhr, dass unsere Prüfungen in modifizierter Form stattfinden konnten. Ein Abschluss des Referendariats würde somit möglich sein. Der vorübergehende Stillstand hat dazu beigetragen, meinen Blick vermehrt auf wichtige Dinge des Lebens auch außerhalb der Schule zu richten. Ich begann, Probleme und Hürden neu einzuschätzen und in einem anderen Licht zu sehen. Rückblickend betrachtet hat mich diese Zeit sogar entschleunigt. Sie war für mich persönlich sehr wertvoll.“

Nico Safai, 28 Jahre, Lehramtsanwärter für Sonderpädagogik

Montag, 04. Mai 2020

Die Schulen in Baden-Württemberg erteilen für einige Schüler wieder Präsenzunterricht, so z.B. für Abschlussklassen. In der JKS betrifft dies die Stufen 9 und 10. Der Unterricht erfolgt in Kleingruppen und teilweise zeitversetzt. Ob Kinder daran teilnehmen entscheiden die Erziehungsberechtigten.

Montag, 11. Mai – 29. Mai 2020

Schüler der Klassenstufen 5 – 8, die über das Fernlernen schlecht erreichbar sind, erhalten an der JKS wieder Präsenzlernangebote.

Montag, 18. Mai 2020

Öffnung der Schule für alle Viertklässler. In der JKS gibt es für zwei Klassen Präsenzunterricht.

Montag, 15. Juni 2020

Ab sofort ist die Schule für alle Klassenstufen geöffnet. Allerdings gilt ein rollierendes System, d.h. Fernlern- und Präsenzphasen wechseln sich ab.

Montag, 29. Juni 2020

Öffnung der Grundschulen. Die JKS unterrichtet wieder täglich alle Schüler der Klassen 1 – 4. Das Abstandsgebot ist für Kinder aufgehoben. Schüler ab Klasse 5 befinden sich weiterhin im rollierenden System.

Gelände der Johannes-Kullen-Schule (Drohnenaufnahme)

Mirko Giallorenzo, 27 Jahre, Lehramtsanwärter für Sonderpädagogik:

„Respekt! Unsere Schüler sind mit der schwierigen Situation vorbildlich umgegangen“.

„Die Wochen vor der vollständigen Öffnung der Grundschulen waren geprägt durch Lerngruppen, deren Zusammensetzungen sich häufig änderte. Grund dafür waren die immer wieder wechselnden Vorgaben des Kultusministeriums. Doch trotz dieser permanenten Änderungen verhielten sich die Schülerinnen und Schüler ganz toll und arbeiteten prima mit.

Seit Mitte Juni bewegt sich vieles in eine gute Richtung: endlich wieder Matheunterricht, endlich wieder die Schulkameraden sehen. Wir waren alle sehr froh, als mit der herbeigesehnten vollständigen Öffnung unsere gesamte 2. Klasse wieder zusammen sein konnte wie vor Beginn der Coronakrise. Ab diesem Zeitpunkt kehrte für die Schüler langsam wieder die Normalität zurück. Doch für alle – Eltern, Lehrer und Schüler – ist diese Normalität ganz anders als vor der Pandemie.

Weiterlesen hier...

Der neue Schulalltag bringt Veränderungen innerhalb und außerhalb des Unterrichtes mit sich, an die sich die Schüler erst noch gewöhnen müssen: Man soll, so gut es geht, Abstand zueinander halten und sich regelmäßig die Hände waschen und desinfizieren. Der von vielen heiß geliebte Sport- und Schwimmunterricht ist gestrichen, es wird nicht mehr miteinander gekocht, Pausen finden zeitlich gestaffelt und nur mit den eigenen Klassenkameraden statt. Ich bin erstaunt, wie unfassbar lobenswert die Schüler mit den vielen Änderungen umgehen. Sie reagieren gut auf die neuen Regeln. Auch wenn man immer noch nicht von einem ganz normalen Schulalltag sprechen kann, ist deutlich spürbar: Die Kinder genießen die zurückgewonnene Normalität. So wie ich.“

Mirko Giallorenzo, 27 Jahre, Lehramtsanwärter für Sonderpädagogik

14. September 2020

Wie geht es weiter?

Nach den Sommerferien werden Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg wieder regulär unterrichtet - soweit es das Coronavirus erlaubt. Angestrebt wird so viel Präsenz wie möglich. Voraussetzung ist, dass es keine zweite Infektionswelle gibt. Es gilt der "Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen“. Dabei soll das Abstandsgebot entfallen.

Layla Wahl, 28 Jahre, Lehramtsanwärterin für Sonderpädagogik:

„Durch die Krise habe ich wertvolle Erkenntnisse für die Zukunft gewonnen“.

„Die zurückliegenden Monate haben mich vieles gelehrt. Zum Beispiel, dass die meisten Schülerinnen und Schüler ihre Schule als vertrauten und sicheren Ort vermisst haben. Sogar diejenigen, die sonst eher Unmut über die Schule äußern. Selbst ihnen scheint der Unterricht und alles, was zum normalen Schulalltag gehört, gefehlt zu haben. Das Bearbeiten der Homeschooling-Aufgaben hat meist gut funktioniert.

Dennoch kann das Lernen zu Hause den Präsenzunterricht keinesfalls ersetzen. Viele Kompetenzen, die parallel zum Unterrichtsinhalt gefördert werden, finden dort zu wenig oder keine Beachtung. Vor allem der persönliche Kontakt zu Mitschülern und Lehrkräften hat während der Schulschließung allen gefehlt.

Weiterlesen hier...

Ich habe außerdem erkannt, dass nicht nur die Schüler, sondern auch ich zu Hause deutlich besser arbeite, wenn der Tagesablauf strukturiert und routiniert ist. Deshalb sollten die Lehrkräfte Eltern und Schüler dabei unterstützen, eine festen Rhythmus für das Lernen zu Hause zu finden. Zudem wurde mir nochmals deutlich, wie wichtig regelmäßige Absprachen und der persönliche Austausch im Team sind. Vor allem dann, wenn aktuelle Ereignisse und Änderungen von allen Beteiligten eine hohe Flexibilität verlangen. Auch wenn jeder für sich gut von zu Hause arbeitet, sollte man nicht vergessen, dass man sich im Team gegenseitig den Rücken besser stärken kann.

Wie werden wohl die kommenden Monate aussehen? Ich persönlich glaube, dass wir uns von der Vorstellung lösen müssen, es werde schon bald wieder eine Rückkehr zur Realität vor Corona geben. Wir werden uns verantwortungsvoll mit der neuen Situation arrangieren müssen. Wir sollten die Hygienebestimmungen auch dann nicht vernachlässigen, wenn die Inzidenz - also der Zeitraum, in dem viele Menschen neu erkranken - aktuell niedrig erscheint.

Als Lehrkraft betrachte ich es als meine Aufgabe, als Vorbild voranzugehen und immer wieder das Gespräch über das Infektionsgeschehen und Ansteckungsrisiko mit meinen Schülern zu suchen. Insgesamt stelle ich mich darauf ein, dass ich flexibel auf neue Geschehnisse reagieren muss. Nach den Sommerferien werde ich als Klassenlehrerin an einer Grundschule in Ulm unterrichten. Zum sowieso schon aufregenden Schulstart gesellt sich mit Corona noch eine weitere Portion Ungewissheit.

Aber eines ist für mich glasklar: Solange alle an einem Strang ziehen, die Pandemie ernstnehmen und verantwortungsvoll handeln, können wir gestärkt aus dieser ungewöhnlichen Zeit hervorgehen“.

Layla Wahl, 28 Jahre, Lehramtsanwärterin für Sonderpädagogik